top of page
  • winfried-weber

Der Blick in den Spiegel

Warum werden wir Angestellte oder Unternehmer? Warum raten zur Option Selbständigkeit hierzulande die meisten ab und warum haben Unternehmer und Manager bei uns ein eher schlechtes Image? Ein gutes Gewissen zu haben, wenn man mit eigenen Ideen am Kapitalismus teilnimmt, hat sich von Großbritannien und Amerika nach Kontinentaleuropa und Südostasien in viele Länder ausgebreitet. Wie steht es um die Gründerkultur, ist eine der zentralen Fragen des Standortmarketings. Spitzenreiter bei den Gründern sind Länder wie Australien, Mexiko und Indien. Warum zählt Deutschland bei der Selbständigkeitsquote der Industrieländer zu den Schlusslichtern? Woher kommt hierzulande der Groll gegen das Unternehmerische, woher das schlechte Gewissen, der Neid und die Häme, wenn Unternehmer selbst bei vergleichsweise kleinen Verfehlungen öffentlich gebrandmarkt werden? Warum wird Südniedersachsen kein Gründermekka, obwohl vieles dafür spräche?


Der Soziologe Niklas Luhmann interpretiert das Gewissen als eine Funktion im Dienste der Identitätsbildung, als eine Art Steuerungszentrum der personalen Identität. Ein Mensch hat viele Möglichkeiten, sich zur Welt zu verhalten. Der Mensch wählt bestimmte Optionen aus, ich bin ein Gauner, ein guter Mensch, ein Held, ein Angestellter oder eben ein Unternehmer. Um eine konstante Persönlichkeit zu sein, braucht der Mensch Kontrollinstanzen und eine solche Kontrollinstanz ist das Gewissen. Der Augenblick der Wahrheit ist der morgendliche Blick in den Spiegel. „Bin ich noch derselbe?​“ Ein Blick in den Spiegel, habe ihm verraten, dass er aufhören müsse, sagte Jürgen Klinsmann im Juli 2006. Das Gewissen stellt die in die Zukunft gerichtete Frage, was aus uns werden soll, und blickt in die Vergangenheit auf das, was aus uns geworden ist.


Ressentiments gegen die Wirtschaftsordnung sind weit verbreitet, das zeigen auch Umfragen. Dem Satz, die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung hat sich bewährt, stimmen kaum die Hälfte der Bundesbürger zu. In den Redaktionsstuben der Feuilletons grassiert das schlechte Gewissen. Die Leipziger Schriftstellerin Juli Zeh (Jahrgang 1974) nutzt ihre Prominenz und hält in einem Spiegel-Essay dagegen: "Wird ernstlich behauptet, unser vom Wachstum abhängiges Wirtschaftssystem könne erhalten werden, wenn man gleichzeitig den Leithammeln das Verdienen und den größten Firmen das Gesundschrumpfen verbietet?​" Oder wie bereits Churchill sagte, „wenn wir eine wohlhabende Gesellschaft wollen, müssen wir auch Wohlhabende in Kauf nehmen.​“ Woher kommt das gute Gewissen der Juli Zeh und wie können wir es bei uns pflegen, um Mut zum Unternehmertum entstehen zu lassen?


Vielleicht sollten wir Friedrich Nietzsche einmal darauf hin lesen, wie das Unternehmerische revitalisiert werden kann. Schlechtes Gewissen hielt Nietzsche dem Menschen für unangemessen. Domestizierung war ihm zuwider. Der Mensch war für Nietzsche jemand, der sich auf sich selbst verlässt. Der Mensch ist die Einheit eines Widerspruchs zwischen zwei Seiten, der Domestizierung und der wilden Freiheit. Auf der einen Seite das Raubtier in ihm. Auf der anderen Seite hat er im Laufe der Kulturgeschichte die wilde Instinktwelt domestiziert, Moral, Schuldbewusstein und Askese entwickelt und dabei seine natürliche Kraft und Unbeschwertheit eingebüßt. Nietzsches Philosophie versucht nach der Zeit der Alphatiere und der Vernunftmenschen, den Menschen zum „Gang zu sich selber“ als dem „schaffenden Selbst“ aufzufordern. Der Mensch gleicht dabei einem Seiltänzer, der den Abgrund zwischen Tier und Übermensch überbrückt, indem er sich zwischen den beiden Polen im Gleichgewicht hält. Das Unternehmerische ist in diesem Sinne nicht der Wille zur Macht oder zur Herrschaft, sondern es ist der Wille, sich auf sich selbst zu verlassen und der Wille, zum Können zu streben.


„Ich sage Euch: man muss noch Chaos in sich haben,

um einen tanzenden Stern gebären zu können.

Ich sage Euch: ihr habt noch Chaos in Euch.​“

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra


bottom of page