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  • winfried-weber

Worauf kann man in Gelddingen noch vertrauen?

Vertrauen und Misstrauen sind soziale Phänomene, die dazu neigen, sich selbst zu verstärken. Wobei Misstrauen sich rascher selbst verstärkt als Vertrauen. Deshalb ist es im Grunde ein Wunder, dass sich die meisten privaten Akteure in der gegenwärtigen Finanzkrise recht besonnen verhalten und dies trotz massiver Signale des Misstrauens. Man kann derzeit bisweilen nachlesen, dass die Profis des Finanzsystems schon seit einigen Wochen ihre privaten Portfolios umgeschichtet haben. Das Gros der privaten Anleger bleibt den Renditeanlagen meist noch treu und schichtet allenfalls von Banken, die als Problemfälle im Gespräch sind, um zu Sparkassen oder Volksbanken, die gegenwärtig gewisse Zuläufe verzeichnen.


Warum ist die Vertrauensbasis noch so hoch? Bei misstrauischen Argentiniern, die in den letzten Jahrzehnten viel verloren haben, haben sich neben dem Geld bereits andere Zahlungsmittel durchgesetzt. Viele argentinische Bauern haben Zwischenlager für ihre Ernte geschaffen und bezahlen neue Landmaschinen seit Jahren in Naturalien.


Das Finanzsystem ist in den letzten Jahren immer komplexer und vernetzter geworden. Niemand, auch kein Profi, überblickte es mehr. Man ging zum Beispiel bei Anlageberatungen dazu über, von Professionalität auf Vertrauen umzustellen. Investmentberater machten sich oft nicht mehr die Mühe, die Finanzprodukte zu erklären, sondern nur noch die Seriosität der dahinterstehenden Institute an der Wall Street zu preisen und deren Unfehlbarkeit zu implizieren. Niemand rechnete ernsthaft damit, dass eine der großen Investmentbanken den Bach runter gehen könne.


Ideologen nehmen die Krise zum Anlass, sich über die Frage nach mehr oder weniger Staat zu streiten. Allen gegenwärtig notwendigen staatlichen Interventionen zum Trotz, Alternativen zum Wiederausstieg des Staates aus dem Finanzsystem gibt es nicht. Mitterands Fehler der 1980er Jahre bei der Verstaatlichung von Banken waren ein Lehrbeispiel. Wer könnte die Liquidität in der Weltwirtschaft sichern? Welches steuernde System könnte diese Komplexität aufbringen? Der Kapitalismus steht derzeit unter einem Joch, aber „versagt“ hat er nicht. In der Wirtschaft wird auch in den kommenden Jahren, wie seit Jahrhunderten immer nur danach gefragt werden, ob gezahlt werden kann oder nicht. Und wenn Zahlungsunfähigkeit droht, suchen sich liquide Mittel rasch andere Anlageobjekte. Was die Krise derzeit so bedrohlich macht, ist, dass man mit zu einfachen Modellen und zu viel Vertrauen, das ja ebenfalls eine Reduktion von Komplexität darstellt, operiert hat. Und dass hierzulande die Krise bei den Landesbanken begann, ist nicht nur Zufall. Nicht nur die Wall Street, auch Kommunen und andere Entscheidungsträger des öffentlichen Sektors haben mitgezockt und zahlen jetzt Lehrgeld für ihre Vertrauensseligkeit. Wer konnte diesem Poker, dieser Bonanza wiederstehen? Wer in Organisationen liquide Mittel hatte, hat mitgezockt, mit unglaublichem Gottvertrauen.


Wenn heute einstimmig von Vertrauensverlust die Rede ist, scheint es klare Täter und Opfer zu geben. Dirk Baecker hat dieser Tage in der Neuen Zürcher Zeitung diese Sicht in Frage gestellt und andere Erklärungen für die Finanzkrise gefunden. Man spielte in den letzten Jahren ein „confidence game“. Der Finanzpoker der letzten Jahre sei keine Ausnahme, sondern habe eine elementare Struktur. Es sind die „einmaligen Gelegenheiten“, denen viele Akteure nicht widerstehen konnten. Beim „confidence game“ haben wir es mit zwei Tätern zu tun, der erste schafft mit einer unwiderstehlichen Story Vertrauen und der zweite nähert sich anschließend dem betrogenen Opfer und versucht es zu beruhigen („ist mir auch schon mal passiert. Lass es Dir eine Lehre sein.​“), sodass es nicht zur Polizei geht. Weil wir nicht als die Dummen erscheinen wollen, hängen wir unser Opfersein nicht gerne an die große Glocke. Aber wer ist Opfer, Täter und Helfershelfer in dieser Finanzkrise? Die wichtigsten Ursachen kennen wir inzwischen, die Überversorgung mit Liquidität, Politiker (insbesondere amerikanische) die dazu beitragen dass Bürger risikoreiche Immobilienkredite aufnehmen, Schaffung von Finanzprodukten, die Kreditrisiken intransparenter machen, der Vertrieb dieser Produkte weltweit auch nicht zuletzt an öffentlich-rechtliche Institute und eine Laissez-faire-Attitüde bestehender Risikoüberwachungsinstr­umente. Selbst mit schärferen Regulierungen ist keine sichere Impfung gegen zukünftige Krisen zu erreichen. Die massivsten Krisen der jüngeren Zeit ereigneten sich gerade in Ländern mit hochregulierten Finanzsystemen wie in Japan und Südkorea. In der aktuellen Ausgabe des Economist heißt es, „what’s needed is not more government but better government.​“


Was heißt das für Entscheidungsträger mit liquiden Mitteln? Halten Sie sich nicht mehr nur an ökonomische Modelle des Anlegens. Eine der derzeit weltweit höchsten Rücklaufquoten von Krediten erzielt eine Bank in Bangladesh. Mohammad Yunus, der Friedensnobelpreisträge­r, erzielt 98,​6% in der von ihm gegründeten Grameen Bank. Kleinkreditnehmer und Kreditgeber haben ein Netzwerk geschaffen, das auf der Basis von Vertrauen arbeitet. Vermutlich werden sich, nach dem die Wunden geleckt und Risiken besser überwacht sind, in der Finanzwelt verstärkt hybride Produkte entwickeln. Nach wie vor wird sich die Mehrzahl der Anleger an der Rendite orientieren. Aber jedes Finanzinstitut tut gut daran, sein Portfolio zu erweitern und auch in der Kommunikation weniger macchiavellistisch aufzutreten. Soziale, nachhaltige oder spirituelle Anlageformen bestehen bereits und werden Zulauf bekommen. Ich kann mich an ein Gespräch mit einem Banker vor zwanzig Jahren in Frankfurt erinnern, der verblüfft war, als ein langhaariger junger Mann vor ihm stand und er seine geerbten Millionen in Ökoaktien anlegen wollte.


Und was heißt das nun für private Anleger mit bescheidenen Rücklagen? Streuen Sie Ihr Risiko und versuchen Sie annähernd zu verstehen, in welches Spiel man Sie lockt. Oder halten Sie sich einfach an die Weisheit des Börsengurus Kostolany: „Die beste Anlageform? Investieren Sie in die Ausbildung Ihrer Kinder!​“


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