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Anthropologie und Management

  • Writer: winfried-weber
    winfried-weber
  • Sep 29
  • 3 min read

Aus: Winfried W. Weber

Die Purpose-Wirtschaft. Management als Balance zwischen Gewinn und Gemeinwohl,

2024, eBook (Amazon Kindle, http://tiny.cc/9eznzz  )



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Die Anthropologie spricht von akephalen Gesellschaften, wenn Macht nicht dauerhaft an Personen gebunden ist. Diese Stammesgesellschaften waren bestrebt, ihre Lebensweise möglichst unverändert zu bewahren (vgl. Levi-Strauss 1981). Lokale Gruppen der australischen First Nations People zählen zu den ältesten erhaltenen stammesgeschichtlichen Gesellschaftsformen und sind auch heute noch akephal organisiert. Teil ihrer Kultur ist es, dass die Ältesten bei wichtigen Entscheidungen für die Gemeinschaft das letzte Wort haben. Sie sind Wächter der Geschichte, sie haben das Wissen über ihre Kultur und über die Ahnen. Die Jungen haben dabei alle die gleichen Chancen, sich Wissen anzueignen und später anerkannte „Älteste“ zu werden. Macht und Entscheidungsgewalt haben die Ältesten jedoch nicht.


In späteren Formen der Stammesgesellschaften schrieb man einzelnen Familien Macht zu. Durch aristokratische Geburt oder später auch Standeszugehörigkeit zählte man zu den Schichten, die Macht ausübten. Soziologen sprechen hier von einer stratifizierten Gesellschaft. Erst in der liberalen Moderne wird zumindest in der Politik formal die Machtausübung von unten kontrolliert. Für Leistungsträger in politischen und privaten Organisationen gilt auch das Prinzip, dass durch Leistung das Individuum mehr Befugnisse und Macht erhalten kann, bei Minderleistung Macht aber auch wieder verlieren kann.


Gleichwohl sind große gesellschaftliche Brüche bei Machtfragen in der Moderne aber eher selten. Durchgängig herrsche „Affirmationsbereitschaft“ (Heinrich Popitz). Die Ausdifferenzierung der Funktionen in allen gesellschaftlichen Bereichen schaffen eine Vielzahl von neuen Formen gesellschaftlicher Eliten. Sven Papcke spricht von einer neuen Schichtung von Elitenmilieus, auch durch die „explosive Vermehrung von funktionalen Rangplätzen“. In der Moderne verbreite sich die „Hoffnung auf positive Führung“,  und Geführte erlägen der „Illusion einer verantwortlichen Spitzenauslese. […] Menschen sind Gehorsamsstreber, ihr Sicherheitsbedürfnis rangiert vor dem Freiheitsverlangen, was Kommandostrukturen aller Art erleichtert. Wir übertragen Anpassung und Vertrauen der familialen Sphäre auf den öffentlichen Raum und sind enttäuscht, wenn es dort nicht zugeht wie in einer behüteten Kinderstube, sondern eher wie in der Villa Kunterbunt“ (Papcke 2012).  Bezogen auf die aktuellen Beharrungskräfte und Sicherheitsbedürfnisse in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft konstatiert Moritz Schularick aktuell, „wir sind Veränderungs-Angsthasen geworden“. Deutschland verfange sich angesichts der gegenwärtigen Krisen in kleinteiligen Abwehrkämpfen, Zweifeln, Sorgen und Ängsten. Nicht die Chancen werden gesehen, nur die Kosten und die Schwierigkeiten stünden im Vordergrund. (Schularick 2023)


Auch im Management flossen die Erkenntnisse der Anthropologie in manche Unternehmenskulturen ein. So entwickelte Bill Gore, der Gründer von Gore-Tex, in den 1960er Jahren sein Unternehmen auf der Grundlage solcher Erkenntnisse. Gores Modell basiert auf der Idee, dass ein Mensch nur etwa einhundertfünfzig soziale Beziehungen im Neocortex speichern kann und steuerte das Wachstum des Unternehmens über eine Begrenzung der Personenzahl für neu hinzukommende Teams. In den Tochtergesellschaften arbeiten maximal 150 Personen, deren (temporäre) Rollen als Associates, Sponsors und Leaders bezeichnet werden.  Das Prinzip ist direkte Kommunikation Es gibt keine Hierarchie in der Kommunikation, man muss nicht über jemand gehen, um jemand anderes zu erreichen. Man kann sich direkt an diejenigen wenden, von denen man glaubt, dass sie eine Antwort haben. Bill Gore bezog sich dabei auf den Anthropologen Robin Dunbar, der die Grundlagen dieses Konzepts entwickelt hatte (Dunbar 1993). Heute wird diese Zahl auch als "Dunbar-Zahl" bezeichnet.


Zitat Bill Gore:     

I dreamed of an enterprise with great opportunity for all who would join in it, of a virile organization that would foster self-fulfillment and which would multiply the capabilities of the individuals comprising it beyond their mere sum. […]  Freedom without the restraints of responsibility is chaotic and destroys cooperation and teamwork. We all want to achieve the best combination of freedom and responsibility.” (Gore 2022)

und an anderer Stelle,                       „Eine Gitterorganisation ist eine Organisation, die direkte Transaktionen, Selbstverpflichtung, natürliche Führung, und ohne zugewiesene oder angenommene Autorität. […] Jede erfolgreiche Organisation hat eine Gitterorganisation, die sich hinter der Fassade der autoritären Hierarchie verbirgt. Durch diese Gitterorganisationen werden die Dinge erledigt, und die meisten von uns haben Freude daran, die formalen Verfahren zu umgehen und die Dinge auf geradlinigen und einfachen Weg zu tun.“ (Gore o.J.)


Bill Gores Managementmodell beweist durch seine Existenz seit über sechzig Jahren, dass es sich lohnen kann, sich das Wissen aus der Anthropologie und anderen Geistes- und Sozialwissenschaften zunutze zu machen.

 
 
 

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