Management findet auf einer Bühne statt oder "wozu Performanz?"
- winfried-weber

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Updated: 1 day ago

Modifizierter Auszug aus:
Winfried W. Weber
Die Purpose-Wirtschaft. Management als Balance zwischen Gewinn und Gemeinwohl,
2024, eBook (Amazon Kindle, http://tiny.cc/9eznzz ), Kapitel: Performanz, S. 89ff
Wer es geschäftlich heute noch mit, sagen wir mit den Baustoffen Steine, Erden oder Beton zu tun hat, organisiert, steuert Prozesse, generiert Wissen und kann noch führen, wie man es von erfahrenden Leuten gelernt hat. In dieser Branche ändern sich derzeit noch wenige Faktoren, die Transformation lässt sich noch etwas Zeit.
Wer aber die Gelegenheit hat, Führungskräfte in turbulenten Branchen beim Entscheiden, Abwägen, Umsetzen und Feedback-Einholen zu beobachten, für den tut sich derzeit ein weites Feld auf. Viele Faktoren ändern sich gleichzeitig, bewährte Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr und neue sind noch nicht profitabel. Gefragt sind Intelligenz, Innovation, kluge Entscheidungen und flexible Strukturen. Fähigkeiten, die normale Menschen überfordern. Oder wie es Peter Drucker ausdrückte, „wir überlasten die Menschen an der Spitze. Die Manager tun mir leid“.
Wir hatten am 8. November 2024 in diesem Blog schon mal die Frage gestellt, „wo sich die Intelligenzbank von Führungskräften befinde“. Bei einer älteren Studie zur Intelligenzbank von Managern (Weber, Injunktion, 2005) zeigte sich, dass sich Führungskräfte bei komplizierten Fragen insbesondere Rat bei anderen Führungskräften holten. Kluge Führungskräfte sind gut beraten, wenn sie bei nicht-trivialen Fragen ihre konstruierte Wirklichkeit reflektieren und schauen, was andere Führungskräfte machen und wen, was oder wie diese beobachten. Beobachten und Erkennen schaffen eine Wirklichkeit, die variabel für komplexes Handeln bleibt – im Sinne von Heinz von Foerster: "Alles lebt, es spielt Musik, es gibt Farben, Gerüche, Klänge und eine Vielzahl von Empfindungen. Aber all dies sind konstruierte Relationen; sie kommen nicht von außen, sie entstehen im Innern." (Heinz von Foerster im Gespräch mit Bernhard Pörksen).Auch wichtig, aber weniger wichtig, war bei den Studienergebnissen der Rat aus Beratung, Managementphilosophie oder Wissenschaft (Weber, ebd. S. 20 und S. 182).
Für reflektierte Führungskräfte besteht die heute Kunst darin, aus möglichst vielen Stimmen ein kluges Urteilsvermögen zu generieren. Weder die Ökonomie noch die Soziologie oder die praktisch orientierten Experten oder Berater bieten Ansatzpunkte, die als Beschreibung des Ganzen ausreichen, wenn das, wie Niklas Luhmann es bereits anzweifelte, heute überhaupt noch möglich ist. Und selbst wenn die Wirtschaftssoziologie versucht, eine Metaperspektive zu erreichen, müssen diese Erkenntnisse noch nicht in der Wirtschaft, in der für Niklas Luhmann „spirituellsten aller sozialen Systeme“, ihre Anschlüsse finden.
Was ist also zu tun, wenn die Komplexität einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Wirtschaft bewältigt werden soll? Auch Kybernetiker schlagen in diesem Fall vor, Komplexität bei der eigenen Beobachtung aufzubauen. Manager, die sodann auf Kommunikation und die Organisation auf Anpassungsfähigkeit umstellen, suchen nicht mehr nur nach knowledge. Denn kaum hat man sich das Wissen mühsam erarbeitet, ist es bereits veraltet und als Handlungsgrundlage nur noch bedingt geeignet. Das Management könnte in diesen Übergangsphasen von knowledge auf performance umstellen.
Damit verändern sich radikal die Ausgangspunkte für Führungskräfte, die es sich vor allem zur Hauptaufgabe machen, die Organisation anpassungs- und anschlussfähig zu halten. Ökonomische, technische, psychologische oder gesellschaftliche Fragen sind dann nicht mehr allein entscheidend. Es geht dann um Performanz, nach innen in die Organisation und nach außen in die Gesellschaft, gerade bei öffentlichen Debatten.
Und Performanz erreicht das Management nur über das bewusste Einsetzen von Kooperation und Konflikt. In der rationalen Organisation hatte man anscheinend noch die Möglichkeit, die präferierte Lösung durch Analyse und Planung zu finden und überzeugend umzusetzen. Management war hauptsächlich dazu da, nach innen Konflikte abzuschwächen und Extreme zu nivellieren und zu moderieren.
In der netzwerkorientierten, kommunikativen Organisation bewegt sich das Management im dauerhaften Konflikt zwischen unterschiedlichen Akteuren, zwischen Führenden und Geführten, zwischen Technik und Vertrieb, zwischen Kunden und Lieferanten, zwischen Kreditnehmern und Kreditgebern, zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, zwischen unkritischen und kritischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und so weiter. Die Performanz ist in diesen Netzwerken nur möglich, wenn das Management ein eigenes kommunikatives Gleichgewicht sucht und findet und die eigenen normativen Vorgaben kommuniziert. Und Performanz gelingt nur, wenn das Management „die vielfältige Sprache der Organisation aufnimmt und in dieser Sprache eine eigene Sprache zu sprechen beginnt, die vor allem darin besteht, einzelnen Fragen und Gesichtspunkten Prominenz zuzuweisen.“ (Luhmann 1964)
Ein Kommunikationsmodell des Managements und in Organisationen tangiert damit sprachphilosophische und erkenntnistheoretische Fragestellungen, die wir hier nur kurz skizzieren können. Während man im 19.Jahrhundert noch davon ausging, dass sich Beschreibungen eines Sachverhalts von Aufforderungen unterscheiden lassen, geht man seit John Austin davon aus, dass Sagen grundsätzlich auch ein Handeln sein kann, oder genauer, dass sich die Worte in die Sphäre des Handelns hinein verlängern. Austin zeigte, dass performative Äußerungen an der Oberfläche das Aussehen von Aussagen haben, dass sie aber „keine Äußerungen darstellen, die ‘wahr’ oder ‘falsch’ sein könnten“. Austins bekanntes Beispiel ist die Äußerung im Laufe der standesamtlichen Trauung.: „Ja“ (ich nehme die hier anwesende XY zur Frau). „Wir würden hier sagen, dass wir mit der Äußerung etwas tun, und zwar heiraten, und nicht etwa etwas berichten, etwa dass wir heiraten.“ (Austin 1972)
Aussagen im Management sind im Sinne von Austin weniger konstativ, also Feststellungen, die Informationen übermitteln, sondern in erster Linie performativ, in dem sie Realität produktiv hervorbringen. Wenn also das, was als Realität vorgefunden wird, als ein Resultat von Sprechakten und Kommunikation angesprochen werden muss, so bedeutet dies, dass die Realität auf die Kommunikation angewiesen ist, genauer, auf die Zyklen, in denen sich ihre Struktur reproduziert. Aufforderungen und performative Äußerungen müssen zwangläufig eine veränderte Realität zur Folge haben. Injunktionen als performative Sprechakte können damit unser Handeln nicht nur begleiten, sondern konstruieren.
George Spencer-Browns Laws of Form (London 1969) beschreibt die Konstruktion und die Wandlung von Form. Seine Theorie basiert darauf, dass nur dann „ein Universum zum Dasein gelangt, wenn ein Raum getrennt oder geteilt wird“. Spencer-Browns Kalkül besteht aus Injunktionen. Sein Kalkül startet mit „Draw a distinction“, „triff eine Unterscheidung“, das heißt, er beschreibt nicht, sondern sagt, was zu tun ist. Spencer-Brown weist damit darauf hin, dass jede Erkenntnis an charakteristische Verhaltensweisen gebunden ist. Je nachdem, welche Operation ein Mensch vollzieht, formt sich seine individuelle Erfahrung und Erkenntnis, seine Realitätskonstruktion. Mit Hilfe der beiden Begriffe Bezeichnung und Unterscheidung gelingt es Spencer-Brown, alle Operationen eines Beobachters zu beschreiben.
Je ausdifferenzierter das Wirtschaftssystem wird, das Wissen zunimmt und Intelligenz gefragt ist, die über die KI-Erklärungen von trivialen Maschinen (Heinz von Foerster) hinausgehen, umso mehr werden für Entscheidungen Netzwerke wichtig, die bisherige Entscheidungsmuster verändern helfen: Berufskollegen, Konkurrenten, Managementberatung, Sounding Boards (Gruppenforen zu strittigen Themen, siehe Blogbeitrag „Sounding Board“) oder zivilgesellschaftliche Akteure. In diesen erweiterten Netzwerken ist die Performanz der Feedbackgebenden für die Ratsuchenden immer in eine Konstruktion aus Überzeugungen, Einstellungen, Präferenzen, Vorurteilen und Gewohnheiten eingebettet.
Beispielsweise lässt sich künstlerische Performanz an den Werken, Personen, Präsentationen, Kontexten etc. ablesen. Performanz umfasst das gesamte Auftreten, das Handeln der Künstler, ihr Erscheinen auf dem Kunstmarkt, in Katalogen, Büchern, Artikeln, Symposien, Diskursen, in Interviews. Performanz ist empirisch beobachtbar.
Ob das Feedback aus Netzwerken angenommen wird oder abgelehnt wird, hängt von den performativen Leistungen aller ab. Die Performanz von Wirtschaftsakteuren und ihre kluge Kommunikation, die auf Anschlüsse zielt, wird zu einer entscheidenden Führungskompetenz.
Das hört sich komplizierter an, als es ist. Management findet auf einer Bühne statt. Management und Führung entsteht im Auge des Beobachters, durch die Performanz der Führungskraft. Ihre Haltung, ihre Mimik und Gestik, ihr Habitus, ihre Kleidung und Symbole und ihre Sprachraffinesse erzeugen diese Performanz.
Ein gedankliches Schweben zwischen Gegensätzen oder Alternativen gehörte schon zu den evolutionsgeschichtlichen Überlebensvorteilen des Homo sapiens und Homo ludens. Wer lernte, mit Unsicherheiten klug umzugehen, in ambivalenten Situationen den Überblick zu behalten und beim Denken über scheinbar rationale und scheinbar irrationale Phänomene oszillieren zu können, hatte schon in der Stammesgesellschaft bessere Überlebenschancen. „Irgendwann müssen wir gelernt haben zu oszillieren. […] Wüssten wir nicht, dass wir Menschen in diesem Sinne immer schon oszillieren, müssten wir an dieser Herausforderung [Komplexität] verzweifeln und könnten uns dann nur in Fortschrittsoptimismus oder Kulturpessimismus üben“ (siehe auch Dirk Baecker, in: Soziopolis, 03/2016).
Führungskräfte, die bewusster oszillieren zwischen Wissen und Nicht-Wissen und laufend ihre Performanz im Kontext von Kommunikation verbessern, erweitern ihre Handlungsmöglichkeiten. Die gesellschaftliche Entwicklung gleicht immer mehr einem Prozess, in dem „wir alle Theater spielen“ (Goffman, 1956). Auch Management findet auf Vorderbühnen und Hinterbühnen statt. Führungskräfte handeln in Rollenmustern von Erwartungen, obgleich sie diese rollenkonformen Erwartungen brechen können. Sie lernen zu oszillieren. Sie nehmen Rollen ein, ohne sie zu verinnerlichen, sie lernen, durch Performanz zu stabilisieren und zu irritieren. Sie lernen, mit Performanz zu führen.
(weiterführend: Winfried Weber, Innovation durch Injunktion, Göttingen, 2005)



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