Foto: Winfried Weber mit CPR-Tasse von Johannes Bohnen, Bohnen Public Affairs
Text-Auszug aus: Winfried Weber, Die Purpose-Wirtschaft, 2024, eBook zB. bei Amazon Kindle
Die letzten Jahre werden als Zäsur, als Jahre der massiven Bedrohungen der liberalen Demokratien und der Freiheit in die Geschichte eingehen. Gerade auch Unternehmen stellen sich die Frage, ob und wie sie mit neuen Haltungen und Strategien darauf rea-gieren.
Die Aufgabenteilung zwischen Politikern und Unternehmern/Führungskräften war jahr-zehntelang zementiert und nicht hinterfragt. Unternehmer übernehmen Verantwortung für eine nachhaltige Wirtschaft und müssen in erster Linie auf Zahlungsfähigkeit ach-ten. Politiker erhalten die offene Gesellschaft – sie erlangen Macht, indem sie ihre Programme und Entscheidungen an Wählerstimmen orientieren oder verlieren sie, wenn die Opposition bessere Alternativen ankündigt. So waren beide „Jobs“ definiert. Diese Entscheidungsmuster waren für beide Funktionen der Fokus im Alltagsgeschäft. Angesichts der aktuellen geopolitischen und wirtschaftlichen Krisen und Katastrophen stehen gerade Wirtschaftsakteure vor der Frage, wie sie auf die Bedrohung der libera-len Gesellschaft, der unternehmerischen Freiheit und des Rechtsstaats durch autoritä-re und totalitäre Aggressoren und Bewegungen reagieren sollen.
Auf dem Forum „Die Liberale Demokratie in Gefahr – was können Unternehmen tun?“ fasste Ralf Fücks vom Zentrum Liberale Moderne in sieben Thesen die aktuelle Lage der Unternehmen in Deutschland zusammen. Erstens, das Geschäftsmodell Deutsch-land muss grundlegend neu überdacht werden. Zweitens, die naive Konvergenztheorie wurde widerlegt (Wandel durch Handel). Drittens bewegt sich die Gesellschaft hinein in eine neue Periode des Primats der Politik über die Ökonomie. Viertens ist für viele Leute der jungen Generation die Klimakrise eine Systemkrise des Kapitalismus. Fünf-tens lässt sich in der westlichen Welt überall eine Moralisierung der Ökonomie feststel-len. Sechstens, um auf Dauer ökonomisch erfolgreich zu sein, werden ethisch-normative Fragen wichtiger. Siebtens, Unternehmen müssen sich als politische Akteu-re verstehen. (Fücks 2022)
Peter Drucker wies schon in den 1980er Jahren darauf hin, dass Unternehmer neben Effizienz- und Effektivitätsorientierungen ihre Beiträge zur Erhaltung und Weiterent-wicklung der liberalen Demokratie nicht außer Acht lassen können. Demokratien böten das beste Umfeld für die Innovations- und Zukunftsfähigkeit, die zivilgesellschaftliche Weiterentwicklung und die Vielfalt in Wirtschaft und Gesellschaft, gerade in Zeiten wie diesen. Manager müssten nicht bessere Politiker sein, aber sie trügen maßgeblich dazu bei, dass unser Rechtsstaat und unser Wertesystem erhalten bliebe (vgl. Drucker 1996 und Weber/Paschek 2017). Drucker hatte erkannt, dass die Manager als Teil der gesellschaftlichen Elite über die Wirtschaftlichkeit hinaus eine besondere Verantwor-tung tragen:
“The leaders of this pluralist society of organizations are the servants of such institutions. At the same time, they are the major leadership group such a society knows or is likely to produce. They have to serve both their own institution and the common good. If the society is to function, let alone if it is to remain a free society, the men we call managers will remain “private” in their institutions. No matter who owns them and how, they will maintain autonomy. But they will also have to be ‘public’ in their ethics.” (Drucker 1986)
Peter Drucker sprach dabei von einer nächsten Gesellschaft als einer „bearable society“, einer erträglichen Gesellschaft (Drucker 1993). Die liberale Demokratie sei der Garant für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand. Unternehmen und ihr Management spielten bei der Verteidigung der Freiheit eine der wichtigsten Rollen. Führungskräfte und Wissensarbeitende in Unternehmen übernähmen in einer erträglichen Gesellschaft soziale und politische Verantwortung. Druckers persönliche Erfahrungen als scharfer Gegner der Nationalsozialisten, bis Frühjahr 1933 in Deutschland als Wissenschaftler, Journalist und Publizist tätig, dessen Texte bald verbrannt wurden und der schon 1933 ins Exil ging, sollten für ihn zeitlebens eine Warnung bleiben. Auch das Schlafwandeln in großen Teilen der Wirtschaft der Weimarer Republik habe zu deren Zusammenbruch beigetragen.
Die diskursive Freiheit des Managements und ihr diskursives Engagement ist daher für die Gesellschaft so wichtig. Und, so Drucker, nur starke und demokratiefördernde Organisationen bewahren die liberale Gesellschaft vor einem Rückfall in autoritäre oder gar totalitäre Gesellschaftsformen. Zur Förderung einer Demokratiekultur, bei der Gestaltung der politischen Kultur und der diese tragenden Normen können Berufspoli-tiker nur einen Teil leisten.
„In the half-century after the Second World War, the business corporation has brilliantly proved itself as an economic organization, that is a creator of wealth and jobs. In the next society, the biggest challenge for the large company especially for the multinational may be its social legiti-macy: its values, its mission, its vision.“ (Drucker 2002)
In Zeiten wie diesen liegt in jeder unternehmerischen Entscheidung, die totalitäre Ent-wicklungen begünstigen, sie fördern, geostrategische Interessen dieser Regime bedie-nen oder sich an ihnen bereichern, ein Moment der Wahrheit. Wenn die liberalen Demokratien in Gefahr sind, geht es auch in Unternehmen um Legitimität. Die heutigen jungen Menschen, gerade in der Wissensarbeit, werden in Unternehmen arbeiten wollen, in denen Führungskräfte sich zu Themen und ihren Werten äußern, die für die offene Gesellschaft wichtig sind und die die Richtung aufzeigen, bei der der eigene Arbeitsplatz einen relevanten Beitrag leistet.
Das Management, als „society’s major leadership group“ ist immer schon ein politi-scher Akteur, der seine wirtschaftlichen Interessen politisch artikuliert und gleichwohl in einer „nächsten Gesellschaft“ (ebd.) Legitimität erlangen muss. In der nächsten Gesell-schaft, die Peter Drucker als eine liberale Gesellschaft unter dem Epochenwandel der Digitalisierung skizzierte, können Unternehmen die externen Effekte ihrer Entschei-dungen, für die bisher niemand bezahlte oder Verantwortung übernahm (Klimawandel, soziale Exklusion oder Demokratieerhalt), nicht mehr ausklammern.
Noch spiegelt sich nicht jede Entscheidung eines zukünftigen Stakeholder-Kapitalismus in positiven Effekten der Saldozeilen nieder. Larry Fink/BlackRock oder Jamie Dimon/JP Morgan Chase, die ihre Entscheidung, vermehrt in klimafreundliche und sozial verträgliche Unternehmen zu investieren, stehen derzeit teilweise auch von Kundenseite her in der Kritik. Der Tenor, ihre „woke“-Strategie diskriminiere ganze Industrien, die noch von fossilen Brennstoffen abhänge.
Gleichwohl sind nur wenige Regierungen demokratischer Länder derzeit in der Lage, die Kosten externer Effekte den Verursachern in Rechnung zu stellen und nicht-gemeinwohlorientierte Strategien zu sanktionieren. Deshalb öffnen sich – außerhalb des politischen Systems - mit nachhaltigen Investmentstrategien bemerkenswerte strategische Möglichkeiten, die Fliehkräfte der Moderne einzufangen.
Was heißt das praktisch? Welche Unternehmen können mit welchen Ansätzen nach den politischen Zäsuren der letzten Jahre relevante Beiträge zum Erhalt der Demokra-tie und gesellschaftlicher Verantwortung entwickeln? Mit wem macht man zukünftig welche Geschäfte? Wie gehen Unternehmen mit Wertewandel (auch der nächsten Generationen) um? Welche Verbesserungsansätze sind sinnvoll und praktikabel?
Folgende Beispiele aus der Unternehmenspraxis können diese Entwicklung verdeutli-chen.
Die Unternehmerin Judith Borowski des Armbanduhrenherstellers Nomos Glashütte stellte auf dem oben genannten Forum, „Die Liberale Demokratie in Gefahr“, ihre prak-tischen Ansätze zur Unternehmenskommunikation zur Verteidigung der liberalen De-mokratie vor. Hintergrund ihres Political Branding-Ansatzes waren Kundenanfragen aus Israel und den USA, ob die Uhren von Nomos „von Nazis zusammengebaut wur-den“. (Borowski 2022) Judith Borowski zu den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten von Nomos Glashütte SA:
„Wir haben ausländische, homosexuelle und behinderte Mitarbeiter, und wir haben auch die Pflicht, auf diese Menschen aufzupassen. Der Belegschaft bieten wir derzeit Seminare an, wie sie mit Pegida und Rechten umgehen können. Wir wollen aufklären, was hinter deren Parolen steht. In der Region ist unsere Haltung bekannt, dass wir uns gegen Nazis stellen. Das tun wir für die Belegschaft, aber auch für den Ruf unseres Unternehmens. Wenn wir unsere Weltoffenheit ver-spielen, haben wir auch ein wirtschaftliches Problem.“ (Borowski 2018)
Ein nächstes Beispiel ist Hans-Walter Peters vom Bankenverband. Er war Mitinitiator von We4Europe, eine Unternehmensallianz, die vom ehemaligen Innogy-CEO Peter Terium ins Leben gerufen wurde, darunter Telekom, Lufthansa und Deutsche Bank. We4Europe setzte sich für ein offenes, vereintes und starkes Europa ein. Auf der Seite des Bankenverbands schreibt Peters, “banks, as essential players in a liberal economic order see it as their duty to actively support this peaceful, free Europe which is united in solidarity and capable of action both internally and externally.” (siehe We4Europe, o.J.)
Yvon Chouinard gründete die Sportbekleidungsfirma Patagonia im Jahr 1973 und übertrug das Unternehmen 2022 an eine gemeinnützige Stiftung. Die aktuelle Mission lautet wie folgt: „Die Erde ist jetzt unser einziger Aktionär". Schon seit 1985 hatte sich Patagonia verpflichtet, ein Prozent des Umsatzes für die Erhaltung und Wiederherstel-lung der natürlichen Umwelt zu verwenden. Zitat: “For our 50th year, we’re looking forward, not back, to life on Earth. Together, we can prioritize purpose over profit and protect this wondrous planet, our only home” (siehe Patagonia 2023). Die Enthüllungen der Facebook-Papers brachten ans Licht, dass das Facebook-Management unter dem CEO Mark Zuckerberg wissentlich zu wenig gegen Hassbotschaften, Fake News und andere schädliche Inhalte auf der Plattform unternommen hatte. Patagonia stornierte schon im Juni 2020 die Werbung bei Facebook und rief andere Konzerne dazu auf, sich dem Facebook-Boykott anzuschließen. „Das Geschäftsmodell von Facebook gründet auf Desinformation und hasserfüllten Aussagen“, so Ryan Geert, der Euro-pachef („why we are pushing Facebook to prioritize people and the planet over profit“). Die Kunden honorierten offensichtlich dieses Vorgehen, denn nach kurzfristen Um-satzeinbußen stiegen die Verkäufe wieder.
Unter dem Dach der Hertie-Stiftung und der Robert-Bosch-Stiftung fanden sich 2021 sechs Pilotunternehmen zum Business Council for Democracy (BC4D) zusammen, heute sind es bereits über 60 Unternehmen, die eine vielfältige und tolerante Debat-tenkultur fördern wollen. Der BC4D ermöglicht es Arbeitgebern, ihr Engagement für die Demokratie mit einem Netzwerkprogramm sowie mit Schulungen für ihre Beschäftigten auszuweiten. Ein Pool aus professionellen Trainerinnen und Trainern schulen Füh-rungskräfte und Beschäftigte zu Fragen der Kommunikation. Wie kann ich Fake-News von seriösen Nachrichten unterscheiden und wie erkenne ich verdächtige Quellen? Was kann ich tun, wenn ich selbst Hassattacken ausgesetzt bin? Wie funktioniert digi-tale Gegenrede? Welche Beratung, welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es? Was macht Menschen anfällig für digitale Manipulation? Welche Folgen hat die digitale Polarisierung für unsere Gesellschaft? (Becker 2023)
Das Start-up Streitgut bietet Dienstleistungen und eine Plattform an, mit denen sie die Diskussionskultur in Deutschland verbessern will. „Das klingt abgedreht und nach Ponyhof, aber wir meinen es sehr ernst. Deshalb arbeiten wir mit den besten For-schungsteams der Welt und reichweitenstarken Menschen und Institutionen – und deshalb freuen wir uns so, dass Du auch dabei bist!“, so skizzieren sie ihr Profil auf ihrer Website. Daniel Privitera startete das Projekt 2017 zunächst als ein persönliches Hobby. Er organisierte an verschiedenen Orten in Deutschland offene Diskussions-abende. 2020 produzierte er dann eine eigene TV-Sendung für den Fernsehsender Phoenix. Seit 2021 gibt es offiziell die streitgut gUG, die mit Forschungsteams in Har-vard und Stanford um Julia Minson und Robb Willer als wissenschaftlichen Beirat zu-sammenarbeitet. (Website Streitgut 2023)
Mit dem Begriff der Corporate Political Responsibility (CPR), eingeführt von Johannes Bohnen, steht ein Konzept zur Verfügung, mit dem die Marke und das Reputationska-pital gestärkt werden können (Bohnen 2020). Bohnens Kernthese ist, dass Unterneh-men in die gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen ihres wirtschaftlichen Erfolges investieren müssen. Wer die Demokratie fördert, stärkt die Grundlagen der liberalen Demokratie und damit letztlich sich selbst. Operativ bedeutet das, dass jedes Unternehmen mit seiner Markenentwicklung auch die gesellschaftspolitische Dimensi-on weiterentwickeln sollte. Das bisher zu enge ökomische Verständnis einer Marken-bildung und Markenführung müsse durch diese Option erweitert werden. Es gelte dabei vor allem, eine Haltung einzunehmen. Am Anfang der Maßnahmen stehe eine Be-standsaufnahme. Wo stehen wir, was ist schon da, und welche vorhandenen Elemente können zusammengefügt werden. Zum Konzept zählen Maßnahmen wie Relevanz für Stakeholder-Zielgruppen, Glaubwürdigkeit, Herausarbeiten von eigenen Besonderhei-ten und Stärken, eigene Thinktanks aufzubauen und sich mit anderen zu vernetzen, die Debattenkultur im Unternehmen und die Diskursfähigkeit von Führungskräften stärken, Partizipationsprojekte und bürgerschaftliches Engagement im Umfeld des Unternehmens fördern und stärken. Als CPR-Leitlinien sieht Bohnen:
„Verlieren Sie sich bei der Kommentierung zu politischen Themen nicht in den Details. Äußern Sie sich eher zu langfristig relevanten Themen. Seien Sie unparteiisch und setzen sich für die Sache der liberalen Demokratie ein, die es im eigenen Interesse zu schützen gilt. … Die Grund-annahme ist, dass Politik, Demokratie und sozialer Zusammenhalt ohne ambitionierte und inno-vative Beiträge aller gesellschaftlichen Akteure, namentlich der Unternehmen, nicht funktionieren können. […] Konkret bedeutet dies, dass die Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsplätze nicht isoliert betrachtet werden können, sondern in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt werden müssen.“ (Bohnen 2022)
Das Management als society’s major leadership group weiß aus der organisationalen Wirksamkeit nur zu gut, dass Führung Verantwortung bedeutet. Wer weiß, dass man beeinflussen kann, wie man beobachtet wird (Luhmann 2000) geht vorsichtig und do-siert damit um. Auch die Geführten haben diese Option und können mit Unberechen-barkeit, Widerstand und Willkür, versteckt, subtil oder offen reagieren und sich einer Machtausübung verweigern. Wenn aber auch erstaunlich viele Menschen „Gehor-samsstreber“ sein können (Sven Papcke, siehe Kapitel „Akephal versus stratifiziert“), ihr Sicherheitsbedürfnis vor dem Freiheitsverlangen rangiere und damit Kommando-strukturen aller Art erleichtere (ebd.), ahnen Führungskräfte die antidemokratischen Gefahren in Zeiten wie diesen. Man versucht im Führungsalltag dann, klare Abgren-zungen in Haltung und Kommunikation zu treffen. Und stellt sich immer wieder die Frage, welche Handlungen bei anderen und bei sich selbst daraus resultieren könnten.
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